Tekstovi: Reinhard Mey. Atze Lehmann.
Du hor' mal, eben ruft mich Walter an, es geht da um die neue Produktion. Also, wir fangen schon am Freitag an, und den Termin fur's Studio haben wir schon, und auch das mit den Musikern, um die ich gebeten hab', geht alles klar. Und es kommt auch wieder dieselbe Mannschaft, die's letzte mal dabei gewesen war. Und dann hat er sich noch nach Dir erkundigt und nach Deinem Wohlergeh'n gefragt, und da? ich's nicht vergesse, dich herzlich von ihm zu gru?en, hat er noch gesagt. Und ganz am Schlu?, als ich den Horer schon auflegen wollte, rutscht' es ihm noch raus, da? Atze Lehmann sich erschossen hat im Garten, hinter seinem Haus.
Ich kann das gar nicht richtig glauben, Menschenskind, das kann doch gar nicht moglich sein! Das geht ganz einfach nicht in meinen Kopf, das kann ich einfach nicht begreifen, nein. Das sind so Sachen, wie sie immer in der Zeitung auf der letzten Seite steh'n. Und uber sowas les' ich immer unbeteiligt und fast gleichgultig hinweg, so was passiert immer woanders, so was passiert immer andern und weit weg. Und mit demselben Blick les' ich oft noch die Kleinanzeigen und mach' mir nichts draus. Und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Ich kann mich gut an ihn erinnern, ohne je enger mit ihm bekannt zu sein. Mit seinem struppigroten Haar stand er vor mir, ein Monument aus rotem Stein, mit seinen ausgebeulten Hosen und Sandalen mit viel Platz fur funf Paar Zeh'n, den gro?en Augen eines Bar'n, dem Schnurrbart von einem Lufthansakapitan. Und als ich ihn begru?te, dacht' ich, der hat Hande wie Klosettdeckel so gro?, und als ich ihn am Flugel sah und spielen horte, fragte ich mich blo?: Wie kriegt der Mann zwischen den Tasten seine Finger wieder vollzahlig heraus, und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Das bi?chen, was ich von ihm wei?, hat er mir irgendwann im Studio selbst erzahlt, zwischen zwei Titeln, und er schien mir nicht der Typ, den immerzu der Zweifel qualt, von seiner Frau, von seinen Kindern, haus und Garten und dem nachsten Urlaubsziel, und abends war' die elektrische Eisenbahn von seinem Sohn sein Lieblingsspiel, und da? er irgendwann mal Flieger werden wollte, aber dann kam ja der Krieg, und schlie?lich kam er, wie wir alle, wie die Jungfrau zum Kind kommt, zur Musik. Und wenn er jemals wieder fliegen wurde, dann im Suff aus dem Orchester raus, und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Dann hab' ich ihn noch mal getroffen, letzten Herbst auf der Stadtautobahn, da fuhr er eine Zeitlang hinter mir und blinkte mich wie ein Verruckter an, und vor 'ner Wurstbude in Tegel stieg er aus dem alten rostigen BMW und sagte: "Hallo, alter Freund, ich freu' mich riesig, da? ich Dich mal wiederseh'" dann hat er mir noch eine Currywurst spendiert, und noch beim Essen haben wir ein bi?chen vom Geschaft geplaudert und mit vollem Mund noch sagte er zu mir: "Ich habe jetzt die ganz gro?e Nummer geschrieben, kommt nachste Woch raus!" Und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Du, wei?t Du, eigentlich geht uns ja die ganze Geschichte uberhaupt nichts an. Wir kannten ihn ja nur so eben, andern konnen wir ja auch nichts mehr daran. Und doch ist mir, wen ich dran denke, irgednwie, als war's Winter, als wurd' ich frier'n, als hatt' ich eben einen Freund gewonnen, nur, um ihn gleich wieder zu verlier'n. Als ob seit dem all das geschehen ist, wir beinahe alte Verwandte war'n, was um alles in der Welt ist denn blo? in den alten Spa?vogel gefahr'n? Und je mehr ich druber nachdenk', destowen'ger werd' ich schlau daraus. Da erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Ich kann das gar nicht richtig glauben, Menschenskind, das kann doch gar nicht moglich sein! Das geht ganz einfach nicht in meinen Kopf, das kann ich einfach nicht begreifen, nein. Das sind so Sachen, wie sie immer in der Zeitung auf der letzten Seite steh'n. Und uber sowas les' ich immer unbeteiligt und fast gleichgultig hinweg, so was passiert immer woanders, so was passiert immer andern und weit weg. Und mit demselben Blick les' ich oft noch die Kleinanzeigen und mach' mir nichts draus. Und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Ich kann mich gut an ihn erinnern, ohne je enger mit ihm bekannt zu sein. Mit seinem struppigroten Haar stand er vor mir, ein Monument aus rotem Stein, mit seinen ausgebeulten Hosen und Sandalen mit viel Platz fur funf Paar Zeh'n, den gro?en Augen eines Bar'n, dem Schnurrbart von einem Lufthansakapitan. Und als ich ihn begru?te, dacht' ich, der hat Hande wie Klosettdeckel so gro?, und als ich ihn am Flugel sah und spielen horte, fragte ich mich blo?: Wie kriegt der Mann zwischen den Tasten seine Finger wieder vollzahlig heraus, und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Das bi?chen, was ich von ihm wei?, hat er mir irgendwann im Studio selbst erzahlt, zwischen zwei Titeln, und er schien mir nicht der Typ, den immerzu der Zweifel qualt, von seiner Frau, von seinen Kindern, haus und Garten und dem nachsten Urlaubsziel, und abends war' die elektrische Eisenbahn von seinem Sohn sein Lieblingsspiel, und da? er irgendwann mal Flieger werden wollte, aber dann kam ja der Krieg, und schlie?lich kam er, wie wir alle, wie die Jungfrau zum Kind kommt, zur Musik. Und wenn er jemals wieder fliegen wurde, dann im Suff aus dem Orchester raus, und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Dann hab' ich ihn noch mal getroffen, letzten Herbst auf der Stadtautobahn, da fuhr er eine Zeitlang hinter mir und blinkte mich wie ein Verruckter an, und vor 'ner Wurstbude in Tegel stieg er aus dem alten rostigen BMW und sagte: "Hallo, alter Freund, ich freu' mich riesig, da? ich Dich mal wiederseh'" dann hat er mir noch eine Currywurst spendiert, und noch beim Essen haben wir ein bi?chen vom Geschaft geplaudert und mit vollem Mund noch sagte er zu mir: "Ich habe jetzt die ganz gro?e Nummer geschrieben, kommt nachste Woch raus!" Und jetzt erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Du, wei?t Du, eigentlich geht uns ja die ganze Geschichte uberhaupt nichts an. Wir kannten ihn ja nur so eben, andern konnen wir ja auch nichts mehr daran. Und doch ist mir, wen ich dran denke, irgednwie, als war's Winter, als wurd' ich frier'n, als hatt' ich eben einen Freund gewonnen, nur, um ihn gleich wieder zu verlier'n. Als ob seit dem all das geschehen ist, wir beinahe alte Verwandte war'n, was um alles in der Welt ist denn blo? in den alten Spa?vogel gefahr'n? Und je mehr ich druber nachdenk', destowen'ger werd' ich schlau daraus. Da erschie?t sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus.
Mey, Reinhard
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